Das war immer einer der beliebtesten Höhepunkte unserer Taekwon-Do Vorführungen, eine große Massenkeilerei, jeder gegen jeden. Die vielen kontrollierten Treffer machten auf den Laien mächtig Eindruck waren jedoch völlig harmlos. Der ein oder andere Zuschauer war auch irritiert, hatte er sich die strenge Disziplin einer Budo-Kampfkunst doch ganz anders vorgestellt.
Diese Tendenz zum Spektakulären beobachtet man auf allen Ebenen und stellen das, was man bisher als wertvoll angesehen hat, in Frage. Sollen z.B. wegen der besseren Medienwirksamkeit farbige Kampfanzüge getragen werden (bessere Unterscheidbarkeit)?
Sollen den Sportlerinnen und Sportlern Wettkampfkleidungen (z.B. im Ballsport) vorgegeben werden, die den Betrachter mehr anregen?
Sollen die Regeln immer mehr erweitert werden, um optisch reißerisch zu wirken (Cage Fight)?
Was bringt es, immer neue, spektakulärere und gefährlichere Freizeitbetätigungen (Funsport, Erlebnissport) zu kreieren?
Aber auch andere Strömungen, die nicht minder den traditionellen Sport verändern, sind festzustellen.
Sollen die Techniken mehr der Gesundheit dienen und die Effektivität in den Hintergrund treten?
Sind Kampfkünste für jeden Menschen, jeden Alters geeignet und zu empfehlen? Ist Taekwon-Do, von Vierjährigen betrieben, noch Taekwon-Do?
Aus diesen Überlegungen spricht eine große Verunsicherung wie man sie allgemein feststellen kann. Dies bezieht sich nicht nur auf das sportliche sondern wird flankiert durch Entwicklungen in der Sportorganisation.
Da konkurrieren die Freizeitanbieter gegeneinander um Mitglieder, die Kampfkünste sprechen sich gegenseitig die Kompetenzen ab, die Sportverbände wetteifern um das wahre und echte Taekwon-Do, Karate, Selbstverteidigung…
Auch auf dem Olymp, wo sich die offiziellen Sportorganisationen bisher in Sicherheit glaubten und verächtlich auf die kleinen „Chaosverbände“ herabsahen, ist es mit der Ruhe vorbei.
In Zeiten allgemeiner Verunsicherung und unter Legitimationsdruck fallen mehr und mehr Schranken und werden Tabus angegangen. Der einzelne Sportklub, der einfache Sportler findet sich nicht mehr zurecht.
Da wirbt der Landessportbund für eine Satzungsänderung, die es ihm ermöglicht, jeden Verein direkt aufzunehmen ohne einen zwischengeschalteten Fachverband. In der Verbandszeitschrift startet der Sportbund eine Umfrage unter den Lesern und möchte wissen, wie die Sportler und Vereinsfunktionäre dazu stehen.
Das ist es doch; darauf haben eigentlich die Vereine schon immer gewartet. In der Verbandszeitung des Fachverbandes ist dann zu lesen, dass er diese Idee auf keinen Fall gutheißt; es wird sogar zu einem Boykott der Umfrage geraten. Da soll sich noch jemand zurechtfinden.
Bisher ist man immer davon ausgegangen, dass der Sport und seine Menschen das gleiche wollen und an einem Strang ziehen. Insbesondere die Vereinsstruktur in Deutschland schien bisher eine Insel zu sein, eine Nische, wo man noch Mensch sein konnte, Ideale pflegte.
Dann kommen die Irritationen, die Brettschneider-Studie, die PISA-Studie, und wer weiß, welche noch folgen werden. Der Fachverband stellt sich gegen den Landessportbund; und der Verein ist in der Zwickmühle. Wer einmal weiter eintaucht, in die Materie, erfährt dann von Prozessen, in denen sich jemand in den Landessportbund einklagen möchte, von Verbandsausschlüssen unliebsamer Mitglieder, von der Pleite eines beliebten Sportvereines, den das Finanzamt unter die Lupe genommen hat und all den Dingen, die wir aus der großen Politik schon lange kennen.
Was ist aus unserem „Sport“ geworden? Da kämpft offensichtlich, von Existenzängsten und Legitimationsproblemen belastet, jeder gegen jeden. Wie soll man das dem einzelnen Sportler vermitteln, der Basis? Wo steht da der Verein mit seinen Anliegen? Wen interessieren die überhaupt noch, wenn die übergeordneten Institutionen nur noch mit sich selbst und dem eigenen Überleben beschäftigt sind?
Was sind das für Zeiten, in denen (jetzt mal abseits vom Sport) das Arbeitsamt und sein Chef selbst kurz vor der Arbeitslosigkeit (Auflösung, Entlassung) stehen? Da ist es das beste, ich kümmere mich um mein eigenes Umfeld, um meinen Verein. Seine Interessen mache ich zum Mittelpunkt meiner Überlegungen und Planungen. Was bleibt mir anderes, wenn sowieso kein gemeinsames Ziel, kein Gemeinsinn mehr auszumachen ist ?
Damit haben wir dann einen weiteren Akteur in dem großen Actionspektakel „Jeder gegen Jeden“. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Beteiligten ähnlich kontrolliert miteinander umgehen, wie wir es bei unseren Kampfsportvorführungen machen, das die, wenn auch immer abstrakter werdenden, gemeinsamen Ziele und Anliegen nicht aus den Augen verloren werden…